Reiten mit Handicap
Dem Oberbegriff Therapeutisches Reiten lassen sich drei Fachbereiche zuordnen:
1. Das Pferd in der Medizin
Mit der Hippotherapie wird die gleichmäßige Bewegung des Pferdes im Schritt genutzt, um auf neuro-physiologischer Basis bei bestimmten Krankheiten des zentralen Nervensystems sowie des Stütz- und Bewegungsapparates eine Wirkung zu erzielen, die mit normaler krankengymnastischer Behandlung nicht erreicht werden kann.
2. Das Pferd in der Pädagogik
Heilpädagogisches Voltigieren und Reiten sind Fördermaßnahmen, die durch zusätzlich ausgebildete Pädagogen/-Psychologen bei verhaltensauffälligen, lernbehinderten, geistig behinderten Menschen und psychisch kranken Menschen eingesetzt werden können.
3. Das Pferd im Sport
Behindertenreiten und -fahren und Behindertenvoltigieren als Sport für Behinderte erweitern das Angebot sportlicher Aktivitäten in einer Richtung, die bisher nur Nichtbehinderten zugänglich war. Der letzte Punkt, nämlich das Reiten als Sport für Behinderte, ist nun genau der Themenbereich, über den hier informiert werden soll.
Wettkampfklassen (Grades) im Para-Dressur Sport
Ähnlich wie in Rollstuhlsportarten (z.B. Rollstuhlbasketball) gibt es auch im Behinderten-Sport-Reiten eine Einteilung der Reiter aufgrund der Schwere der Behinderung in sogenannte “Grades”. Hiermit soll sichergestellt werden, dass “vergleichbare” Einschränkungen zu “vergleichbaren” Leistungen führen. Für jedes Grade existieren eigene Aufgaben.
Es gibt 5 verschiedene Startklassen (engl.: Grades), in denen jeweils mehrere „Profile“ zusammengefasst werden. Diese Behinderungen können höchst unterschiedlich sein, es kommt nur auf die Möglichkeit der Einwirkung auf das Pferd an. Diese wird bei der Klassifizierung der ReiterInnen ermittelt und einem Profil zugeordnet.
In Grade I starten die am schwersten behinderten ReiterInnen. Die Athleten sind hauptsächlich Rollstuhlbenutzer, entweder mit geringer Rumpfbalance oder mit begrenzter Arm- und Beinfunktionen. Athleten mit komplett fehlender Rumpfbalance bzw. Koordinationsfähigkeit, aber guten Armfunktionen sind auch in dieser Klasse startberechtigt. Geritten werden Prüfungen ausschließlich im Schritt.
In Grade II starten ebenfalls meistens Rollstuhlbenutzer mit starken Einschränkungen der Beinfunktionen und der Rumpfbalance. Meist sind auch die Funktionen/Koordinationsfähigkeiten des Oberkörpers und/oder der Arme stark eingeschränkt. Die Prüfungen bestehen aus Schritt- und kleineren Trabsequenzen.
In Grade III starten oft Rollstuhlbenutzer mit starken Einschränkungen der Beinfunktionen und/oder der Rumpfbalance, aber mit guten bis leicht behinderten Armfunktionen. Athleten mit starker einseitiger Funktionseinschränkung in Arm, Rumpf und Bein sind auch in dieser Klasse startberechtigt. Die Prüfungen bestehen aus Schritt- und Trabsequenzen und wahlweise in der Kür mit bestimmten Galopplektionen.
Grade IV ist ein „Sammelbecken“ verschiedenster Handicaps. Die Athleten können in der Regel ohne Unterstützung gehen. Sie haben Behinderungen entweder an einem Arm und einem Bein, mäßige Behinderungen in beiden Armen und beiden Beinen oder schwere Behinderungen der Arme. Athleten, die als B1 (blind) klassifiziert sind, können auch in dieser Klasse starten, ebenso Menschen mit mentalen Einschränkungen. Die Prüfungen bestehen aus Schritt-, Trab- und Galoppsequenzen. Die Anforderungen entsprechen vergleichbar der Klasse L** im Regelsport.
Grade V - ReiterInnen müssen Aufgaben vergleichbar zur Dressur der Klassen L bis M im Regelsport auf „Normalturnieren“ absolvieren. Die Athleten haben Behinderungen nur in einer oder zwei Gliedmaßen oder Einschränkungen der Sehfähigkeit. Etwa eine Behinderung der Hand oder auch das Fehlen einer Hand berechtigt genauso zum Start in dieser Klasse wie das Fehlen eines Unterschenkels. Die Prüfungen bestehen aus Schritt-, Trab- und Galoppsequenzen, wobei die Kür viele hochklassige Lektionen enthalten kann, wie z.B. fliegende Wechsel, ohne Serienwechsel, halbe Galopppirouetten etc. Piaffe und Passage sind nicht erlaubt.
Beurteilung
Bei der Beurteilung der Leistungen in allen Grades wird sehr viel Wert auf das korrekte Reiten, die Linienführung, die Einwirkung des Reiters, die Losgelassenheit des Pferdes etc. gelegt. In den Küren ist es in allen Startklassen möglich, höhere Dressurlektionen zu zeigen. Aus Sicherheitsgründen gibt es jedoch bestimmte Einschränkungen (z.B. darf ein Grade-4-Reiter keine Galopppirouetten reiten, während Trabtraversalen etc. erlaubt sind).
Anhand dessen, wie das Pferd geht, kann jeder die Einwirkung des Reiters erkennen und beurteilen. Man wird sich wundern, wie schnell sich jedes Pferd auf die “andere Art der Hilfengebung” einstellen kann und will. Hier ist halt gefragt, das Pferd nicht mit Kraft zu reiten, sondern mit “know-how”. Jeder von uns kennt seine Einschränkungen und hat gelernt, dem Pferd trotzdem mitzuteilen, was man vom ihm will. Und siehe da: Das Pferd versteht dieses!